Die fünf Tore zur Einzelhandelshölle.


Ich habe das Gefühl, in meinem Leben noch nie so viel einkaufen gewesen zu sein wie hier. Leider spreche ich dabei nicht von Luxusuhren, Kaschmiranzügen oder zeitgenössischer Kunst – ich spreche von Gemüse, Tierfutter und Dosengetränken. Jeden verdammten zweiten Tag stehen wir in irgendeinem Supermarkt und kommen jedes Mal mit einem Einkaufswagen raus, der beladen ist wie ein kurdischer Dorftransporter. Unsere Küchenschränke sehen aus, als wäre morgen Krieg – trotzdem ist irgendwie nie was da.
Einkaufen ist Alltag. In Sachen Alltagseinkäufen teilt sich die Welt der Expats in Shanghai dabei in zwei Lager:

Gruppe A sind Hardcore-Expats die, wenn überhaupt selbst, dann in Westshops einkaufen gehen und chinesische Supermärkte meiden wie Treibsand. Die Luftwaffe in der Armee der Entsendeten – immer schön auf die weiße Uniform achten und die Flughöhe nicht verlassen.

Gruppe B sind Überintegrierte, die meist schon ein paar Jahre länger hier sind und mehr als eine Woche Europa schon nicht mehr ohne Nervenzusammenbruch überstehen. Diese sehen auch mit leichter Verachtung auf Gruppe A herab und sind stolz darauf, im Wetmarket ohne Ohnmachtsattacke einkaufen zu gehen. Wie Fremdenlegionäre, die gerne mal aus reiner Langeweile ein Schaf ausnehmen und häuten.

Ich hoffe, wir liegen genau dazwischen. Wir versuchen, nicht zu Chinas Luxus-Neu-Köllnern zu verkommen, sehen aber durchaus noch Alternativen zu ungekühltem Fleisch in Sommerhitze.

Shanghai ist in Sachen Alltag für Expats sehr komfortabel – außer Apfelwein und Handkäs wenig, was es nicht gibt. Hat natürlich seinen Preis – so oder so. Shanghai ist dabei nicht China, hier hat der Weg zum vollen Warenkorb fünf Tore:

  1. Kaufen wie in den USA oder Europa
    Westliche Marken sind chic – zudem leben 300.000 Ausländer in Shanghai. Supermärkte mit Westangebot gibt es zuhauf. Mit die größte Kette hier in Shanghai ist Cityshop. Alles, was man braucht, um auszublenden in China zu sein. Grünkohl, Maccaroni&Cheese und Tiefkühlpizza von Dr. Oetker.
    Meistens nicht mal unbedingt riesig, aber viel Auswahl aus westlichen Ländern – wie ein REWE Markt, der sein Angebot mit US-Marken aufgemotzt hat. Macht Spaß, ist gegen eventuelles Heimweh wirksames Mittel (hätte nie gedacht, das Zwiebelmettwurst therapeutische Kräfte besitzt), hat aber zwei entscheidende Nachteile.
    Erstens: Rote Beete einfliegen lassen kostet. Meist in etwa mit deutschem Preisniveau vergleichbar, in manchen Fällen aber auch wirklich teuer: Mozzarella für 60 RMB (6,5 Euro), Mandeln für 70 RMB und für den Preis einer Joghurtpalette kann man in Frankfurt ein halbes Jahr parken.
    Zweiter Nachteil ist weniger offensichtlich: die Chance auf Menschen zu treffen, die die eigene Sprache sprechen ist um ein Vielfaches höher. Man gewöhnt sich das hier schnell an. Ein lockeres „die Mastkuh in dem bunten Clownskostüm schafft es doch nie lebendig über die Straße“ bleibt normalerweise ungesühnt, weil einen auf der Straße eh niemand versteht. Bei Cityshop kann man mal sehen, was ein einfaches „das Kind da nervt“ an Reaktionen hervorruft. Deutsches Gezeter vermisse ich nicht

    Wenig Menschen, viel Europa (Quelle: http://www.ecoweb.dk)

  2. Globale Marken in chinesischem Gewand
    Wir lieben Carrefour. Die Franzosen erobern China langsam aber stetig mit großen Hypermarkets. Fünf Minuten von unserem Haus ist ein solcher – es gibt im Grunde alles was man braucht, preislich kein Luxus und bisher haben wir noch keine Lebensmittelvergiftung davongetragen. Was hier wirklich ein Qualitätsmerkmal ist. Jeden Tag bis 22.00 geöffnet und man kriegt hier das beste aus beiden Welten: Kartoffelchips mit Blaubeergeschmack UND Haribo Goldbären. Yeah.
    Carrefour hat die Marke wundervoll ins Chinesische übersetzt: „Jia Le Fu“ – heißt so viel wie Haus der glücklichen Familie. Nachteil ist auch gleichzeitig Vorteil: wer einen Sonntagseinkauf mit Menschenmassen bei Carrefour überstanden hat, kann auch jederzeit als Gladiator arbeiten.

    So sieht es aus wenn nichts los ist. (Quelle: http://www.echinacities.com)

  3. Chinesische Nachbarschaftssupermärkte
    Gibt es an überall und in jeder Hinsicht unauffällig. Super für einfache Dinge wie Gemüse. Einmal die Tüte randvoll machen kostet maximal 20 Yuan (2,2 Euro), sonst viele chinesische Produkte, die sich einem meist nicht erschließen, aber auch irrelevant sind, wenn man nicht gerade authentisch kochen will. Zudem meist geringes Ekelpotential. HuaLin ist ein solcher.
  4. Supermärkte für das wirkliche China.
    Egal ob es Chinaversionen von Westmärkten wie Tesco oder lokale Ketten sind: an manchen Ecken braucht man Nerven – dafür ist ein funktionierender Geruchssinn ein Nachteil. Laut, voll und in Sachen Hygiene eine eigene Liga. Soll sich nicht arrogant anhören, aber auch Freunde von uns, die in dieser Branche arbeiten geben zu, daß es schon ziemlich grenzwertig sein kann.
    Allein der Lärm ist unbeschreiblich: im boomenden China müssen Promotions für Abverkauf und Marktanteil sorgen. Daher stehen im Markt verteilt meist Dutzende Hostessen die Marken und Aktionen anpreisen. Jede von ihnen hat ein Megaphon und keine Angst es zu benutzen. Wo sonst kriegt man einen Tinnitus von Sojamilchwerbung?
    Neuester Trick: Produkte aus dem Wagen nehmen und mit Konkurrenzprodukt austauschen. Dem Vernehmen nach funktioniert es bombig.
    Wirklich widerlich wird es dann an der Fleischtheke. Zwar ist es wenigstens gekühlt, aber in China muss Qualität anfassbar sein – was alle auch ausgiebig tun: Schnitzel rausholen, daran rumdrücken, zurücklegen. Zehn Fleischbrocken betatschen, einen mitnehmen.  Wie es immer noch 1,3 Mrd Menschen hier geben kann, ist mir ein Rätsel und sollte Darwin zu denken geben.

    Taktiles für Fleischfreaks. (Quelle: http://www.timvan.com)

  5. Authentizität vs. Gesundheitsamt: Wetmarkets
    Politisch korrekt geht das kaum. Positives zuerst: Gemüse ist hier wirklich frisch.
    Oft einfach ein paar Stände auf der Straße, manchmal eine kleine Markthalle in der Nachbarschaft. Hier sieht man Westler meist nur mit Kameras. Es gibt alles, was lebt oder mal gelebt hat (auch wenn das manchmal schon ein wenig her zu sein scheint). Ich will ja gar nicht unken: so ein Huhn, das man selbst zum Köpfen ausgesucht hat, schmeckt wahrscheinlich ganz anders. Ich brauche es dennoch nicht. Im Winter geht es ja sogar noch, aber die Geruchskulisse von Fisch neben offenem Fleisch im Sommer bei 41 Grad im Schatten ist überwältigend. Das olfaktorische Äquivalent einer Güterzug-Kollision. Chinesen schwören angeblich darauf – nur Fleisch das ein bisschen gelegen hat ist gut.

Habe perverserweise Hunger vom Posten bekommen. Werde wohl noch kurz einkaufen gehen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s