Hong Kong kannte ich bisher eigentlich nur von Kurzbesuchen, seit ein paar Wochen darf ich deutlich tiefere Einblicke gewinnen. Da mein Einsatzgebiet Greater China ist und ich schon längere Zeit zwischen Shanghai, Beijing, Guangzhou und Hong Kong pendele, hat man mir freigestellt, wo meine Basis sein soll und so beschlossen wir unseren Lebensmittelpunkt in die Stadt zu verlegen, die übersetzt den wunderbar doppeldeutigen Namen „Duftender Hafen“ trägt. Tapetenwechsel ist generell mal nicht schlecht.
Von Hong Kong heisst es, es sei einer der teuersten Städte der Welt – Erzählungen von Mietpreisen werden in dem gleichen Tonfall geraunt, der sonst Gruselgeschichten am Lagerfeuer vorbehalten ist. Nun kann ich aus eigener Erfahrung sagen: keine Zombie-Apokalypse kann dem Schreckensniveau der Wohnpreise in Hong Kong das Wasser reichen.
Von meinem Büro auf der Südseite der Insel blicke ich auf einen hübschen Compound dessen Häuser in etwa so groß sind wie unseres in Shanghai. Dem Vernehmen nach bezahlt man umgerechnet etwa 25.000 Euro im Monat pro Haus – es ist so schön weitläufig. Eine meiner Kollegen bezahlt umgerechnet mehr als 4.000 Euro für eine 80qm Wohnung. Das wird spannend.
Unsere ersten Versuche der Häusersuche bestätigen: alles ist unfassbar teuer, dafür kuschelig klein. Die ersten Häuser in unserem Mietbudget die wir uns ansehen, sind fast 60 km außerhalb und im Legoland-Maßstab gebaut. Die Maklerin, die uns stolz das erste Haus zeigt und die Vorteile des so modernen Compounds betont, versteht nicht wirklich warum wir so skeptisch gucken. In der Küche findet genau eine Person Platz, die sollte sich dann aber auch besser nicht bewegen wollen. Im Schlafzimmer kann ich die Decke mit der Hand berühren und ich bin nicht wirklich hoch gewachsen. Das Wohnzimmer ist so klein, daß wir unseren geliebten Esstisch gegen Campingmöbel werden eintauschen müssen. Mir wird ein wenig schwindelig.
In Shanghai kam das erste mal ein verborgenes Talent meiner Frau zutage, von dem ich vorher wirklich nichts ahnte: sie feilscht besser als ein marokkanischer Teppichhändler. Zwei Wochen später haben wir also eine Bleibe. Immer noch wirklich teuer, aber wenigstens bezahlbar, nicht zu weit von der Stadt schön im Grünen gelegen mit Meerblick und dazu für hiesige Verhältnisse geradezu palastartig groß. Chapeau.
Die ersten Tage in Hong Kong zeigen: Umdenken ist angesagt. Einerseits sieht kaum eine Stadt chinesischer aus (die meisten Filme mit China-Flair werden auf der Kowloon-Seite von Hong Kong gedreht), ansonsten fühlt man sich in der Sonderverwaltungszone eher wie im Westen, besonders wenn es um die Verlegung des Erstwohnsitzes geht. In Sachen Einwanderungsregeln hat man sich in Hong Kong augenscheinlich vom deutschen Steuerrecht inspirieren lassen. Alles folgt einem Prozess. Alles.
Um Internet zu bekommen, brauche ich eine Kreditkarte. Um eine Kreditkarte zu bekommen, brauche ich ein eine Hong Kong ID und ein Konto. Um letzteres zu bekommen, brauche ich einen Adressnachweis, zum Beispiel einer Rechnung eines Versorgungsunternehmens. So brauchen wir insgesamt vier Wochen bis wir im Haus online sind und haben diese Tatsache maßgeblich einer Wasserrechnung zu verdanken. Erste Erkenntnisse. Das Gute an Hong Kong ist: es ist nicht Mainland China. Das Schlechte an Hong Kong ist: es ist nicht Mainland China. Dort gilt erst einmal grundsätzlich die Devise: „Impossible is easy, but easy is impossible.“. Wir werden uns eingewöhnen müssen.
Die zweite Erkenntnis: Hong Kong ist keine Betonwüste. Wenn man nach Hong Kong Island fährt und sich dort bewegt, ist es beinahe unbeschreiblich wie dicht bebaut und eng alles ist. Die Stadt sorgt mit einem knappen Viertel der Bevölkerung Shanghais an deutlich mehr Ecken für Platzangst-Attacken. Nachdem ich Causeway Bay am Wochenende besucht habe, kann ich sehr gut nachempfinden wie sich eine Pilgerfahrt nach Mekka anfühlen muss. Sobald man jedoch etwas rausfährt, sei es auf die Südseite der Insel oder in die New Territories ist man in purer Natur. Es ist wirklich sehr, sehr grün.
Unser Haus thront sehr hübsch auf dem Berg in einem kleinen Dorf in den New Territories. Nach vorne Meer, nach hinten ein grüner Berg. Wir leben im Dschungel. Nach mehr als drei Jahren Shanghai jubeln meine Lungen jeden Morgen angesichts der Luft hier.
Besonders auffällig in Hong Kong’s Dschungel: hier ist alles riesig. Als hätte die Natur einen ganz eigenen Sinn für Ironie, ist hier alles etwas überdimensioniert. Wir haben Pflanzen im Garten deren Blätter größer sind als die meisten Küchen in der Stadt. Der Fruchtgröße nach zu urteilen hält sich unser Zitronenbaum für einen Melonengewächs und manche Bäume sehen aus, als hätten sie Wachstumshormone geschnieft.
Leider beschränkt sich in Hong Kong diese Megalomanie der Natur nicht auf die Flora. Die Fauna steht ihr in nichts nach. Auf unserem ersten Erkundungstrip in der Umgebung entdecken wir eine Spinne im Baum, die aussieht als läge sie auf der Lauer nach einem Reh. Laut Wikipedia eine in Hong Kong weit verbreitete Gattung der Seidenspinnen und dem Artikel nach „eine der größten Spinnen der Welt“. Ich bin mehr als nur leicht arachnophobisch, auch auf kleinere Exemplare wie dieses hier reagiere ich normalerweise mit sehr unmännlichen Überraschungslauten und einem kaum zu unterdrückenden Fluchtinstinkt. Wie wunderbar.
Eine kurze weitere Internetrecherche ergibt: in Hong Kong’s grüner Lunge wuselt es. Spinnen, Schlangen (darunter veritable Giftschlangen wie Kobras) und allgemein sehr viel Insektengetiere, dem man als Mitteleuropäer dankbarerweise nur sehr selten begegnet. So haben wir bei abendlichen Spaziergängen mit den Hunden hin und wieder mal Begegnungen der dritten Art mit hiesigen Tausendfüßlern. Sie sind so groß wie ein respektabler Herrenschuh, ihr Biss wohl verblüffend schmerzhaft und leben weitestgehend nach der Maxime „Angriff ist die beste Verteidigung“. Außerordentlich schlecht gelaunte Wesen. Wahrscheinlich würde mir aber mit dem Aussehen auch nicht die Sonne aus den Fühlern scheinen.
Von den Insekten mal abgesehen, hat die Tierwelt die New Territories aber auch ganz charmante Züge: so lebt in Sai Kung eine Herde Wasserbüffel, die sich blendend integriert haben und Teil des lokalen Stolzes geworden sind. „Büffelherde“ war nicht gerade eine Assoziation die mir bisher spontan bei Hong Kong in den Sinn gekommen ist. Ich denke, es wird noch lustig hier.

Indien vor der Haustür (Quelle: http://www.saikung.com)
Schön wieder etwas neues von dir zu lesen! Und jetzt lebt ihr auch in meiner persönlichen Lieblingsstadt 🙂 Deine Erlebnisse zur Bürokratie von HK kann ich nur allzu gut nachvollziehen. Es hat bei mir gefühlte Jahre gedauert bis ich ein Bankkonto damals eröffnen konnte, da soll mal einer sagen, dass nur Deutsche bürokratisch wären 😉
Super endlich wieder amüsanter Lesestoff…danke schon jetzt für weitere wahrscheinlich gefühlte 382 (Lach)Falten und unzählige Muskelkrämpfe im Gesicht! Großartig, mehr davon! Grüsse vom stinkenden Darmbach in den duftenden Hafen 😉
Dankeschoen! Liebe Gruesse in die Heimat!
Schön, dass du wieder schreibst, hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben!
Jetzt wieder haeufiger 😉 Vielen Dank!
Vielen lieben Dank!