Nachtproleten.


Ich komme gerade von einem für Shanghai typischen Business-Event. Mehrheitlich Expats treffen sich zum Lunch mit Anlass in einer netten Exklave, gefühlte Lichtjahre vom eher kantigen Alltag der Stadt entfernt und besprechen…Dinge. Luxus und Büroschwänzen mit Ausrede. Manchmal erliege ich dem hiesigen Businesskasper-Getue ganz gerne. Dekadent und abgehoben, aber tatsächlich wichtig für das Geschäft hier. Guanxi und Klüngel sind schließlich keine ausschließlich chinesische Erfindung.

Hellhörig und leicht panisch, dafür sehr erfolgreich, wurde ich dann aber gegen Ende: ich konnte zwei Einladungen für abendliches Entertainment ausschlagen. Genauer: ein paar Drinks in der Bar Rouge. Eher sehe ich mir ein halbes Jahr die Lindenstraße auf russisch an, als freiwillig einen Abend dort zu verbringen.

Shanghai ist wirklich toll und das Nachtleben einzigartig. Ich kann mir, denke ich weder Puritarismus, Spießigkeit (oder Abstinenz) vorwerfen lassen. Shanghais Nachtleben ist ein riesiges Plus der Stadt. Leider hat sie auch viele: Angeber-Clubs, Aufriss-Schuppen und Arschnasen-Bars. Bar Rouge spielt in dieser Liga ganz weit oben.
Nächtlich Charakterschwache haben hier grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Optionen:

  1. Enthemmt: Expat Bars für den lokalen Aufriss
    Meistens in einer der typischen Westlergegenden Shanghais – Bund und Hengshan Lu sind ganz vorn dabei. Meistens gar nicht mal so schick, leben mehr vom Ruf als wirklichem Ambiente: Bar Rouge, Glamour Bar, Zapata’s – die Liste ist lang. Dafür passiert drinnen immer das gleiche: mehrere Rudel notgeiler Expats (meistens, aber nicht ausschließlich Männer) treffen auf einer Horde geldgeiler Locals (meistens und fast ausschließlich Shanghai-Girls).
    Eigentlich könnte es mir ja egal sein, schließlich sind sich ja beide Parteien einig darüber, warum sie da sind. Interessenkongruenz: die einen wollen aufreißen, die anderen abgeschleppt werden. Nur in Sachen Zeithorizont gibt es andere Ansichten: erstere finden ein paar Stunden ideal, letztere den Rest des Lebens. Aber müssen sie ja eigentlich sie unter sich ausmachen.
    Was daran nervt, ist noch nicht mal das Schauspiel an sich – beobachten alleine wäre sogar amüsant, nur: sie ziehen einen immer mit rein. Einmal zur Bar gehen und Drinks bestellen dauert etwa 15 Minuten (es ist immer viel los). 15 Minuten ohne Deckung bedeuten für mich, mindestens zwei anorektische, debil-laszive, chinesische Grinsekatzen auf High-Heels auf Distanz halten zu müssen und für meine Frau, mindestens zwei angetrunkenen, realitätsentfremdeten, dafür sehr lauten Baby-Expats erklären, daß das unmittelbare Beenden ihrer Ehe keine verlockende Option ist.
    Beide Gruppen sind einfach nur furchtbar. Furchtbar peinlich und furchtbar anstrengend. Im Vergleich dazu mag ich die P1-Polokragen samt -Püppchen noch fast gern.

    Bar Rouge: Anzünder AUF die Gäste statt DAVOR wäre lustiger (Quelle: http://www.stay.com)

    Amüsant wie Juckreiz - Partypeople in SH (Quelle: http://www.cityweekend.com.cn)

    Ich habe tief in mich hineingehorcht. Zumindest rede ich es mir ein: nein, ich bin nicht neidisch auf die Jungen und Schönen (gehöre selbst keiner der beiden Gruppen an). Auch nicht mißgünstig ob des Spaßes. Sie nerven einfach.

  2. Ent-erdet: Clubs zum richtigen Protzen für China’s Jeunesse Doree
    In Shanghai allein gibt es 140.000 Chinesen mit mehr als einer Million US-Dollar – die meisten derer haben dieses Geld in den letzten 5-10 Jahren verdient. „Neureich“ ist in Deutschland schon kein Kompliment, fügt man dazu aber noch Chinas wenig verbreitete Liebe zum Understatement hinzu, sind Clubs wie Richbaby, 88 oder M2 keine Überraschung.
    Deppen mit mehr Geld als Geschmack gibt es weltweit. Ich möchte auch keinen Nachmittag im Club 55 in Saint Tropez verbringen – China legt aber noch einen drauf. Hier wird geprotzt, daß Donald Trump noch maßvoll wirkt.

    Understatement im Namen und der Einrichtung: Richbaby (Quelle: travel.asia-city.com)

    M2. Als wenn ein "Muse" Club nicht gereicht hätte (Quelle: http://www.cityweekend.com.cn)

    Was China macht, macht es im großen Stil – mit Geld prahlen ist da keine Ausnahme:

    • Derzeitiger Trend ist der Champagnerkrieg. Mehrfach beobachtet: mehr als 100 Flaschen für 6-7 Leute bestellen. Ultimativer Gesichtsgewinn, wenn Kellner eine Stunde lang Moet anschleppen und man außer Flaschen nichts mehr sieht. Dann ist der Nachbartisch mit überbieten dran.
    • Mindestverzehr kann zu besonderen Anlässen teuer werden: bis zu 150.000 Yuan (15.000 Euro) für einen guten Tisch im M2 an Silvester (nicht mal Chinese New Year)
    • Teuerster Drink auf der Karte im M1NT: ein „Cashbox“. Kostet 35.000 Yuan. Und da ist keine Null zu viel dran.Ich gebe zu: da ist ein sogar ein wenig Neid dabei. Zumindest wohl auf die Millionen. 100 Flaschen Champagner will ich nicht auf dem Tisch.

Vielleicht sollte ich das Ganze einfach chinesischer sehen. Ich mache mal versuchsweise eine Bar auf, in der kein Getränk unter 20.000 Yuan kostet und Gäste die bei sinnvoller Unterhaltung oder in Miniröcken über 20cm erwischt werden, zu jeder vollen Stunde vom Dach geschubst werden. Damit werde ich reich.