Anzeichen des Angekommenseins.


Ich glaube, es ist passiert. Wir sind wohl angekommen in China. Den wirklich hässlichen Kulturschock haben wir scheinbar ausgelassen. Nicht ein mal haben wir daran gedacht, China den Rücken zu kehren – auch wenn sowohl meine Frau, als auch ich wohl noch nie so wüst Menschen und Situationen beschimpft haben und wir vieles noch immer nicht verstehen – aber akzeptieren.

Aufgefallen ist es mir heute. Anlass: ein tropfender Wasserhahn in der Küche. Unsere Ayi hatte die Reparatur angeordnet und alles koordiniert. Sie ist mittlerweile extrem autark, deutlich mehr Haushaltsmanager als Hausmädchen. Wir lieben sie dafür.

In jedem Fall lief es, wie es eigentlich immer läuft in China wenn etwas gemacht, repariert, erledigt werden muss.

Phase 1: Bestandsaufnahme

Der Compound Facility Manager (so sein Titel auf der Karte) steht ein wenig unangekündigt vor der Tür. Ein wahnsinnig netter Chinese um die 50, der entweder nur einen Anzug trägt oder besitzt. Er lächelt immer, ist sehr engagiert und unfassbar freundlich. Im Schlepptau hat er einen Installateur oder etwas ähnliches. Zumindest wohl der, der es richten soll.  Ich spreche noch immer kein Chinesisch (was mir jeden Tag peinlicher ist), er keinen Ton Englisch. Seine Zeichensprache ist grottig. Mittlerweile weiß ich, mit einem zuversichtlichen „Hao de“ („Einverstanden“) kann nicht all zu viel schief gehen. Meistens. Oft. Manchmal.

Phase 2: Viele Beteiligte involvieren

Die Ayi koordiniert Heerscharen am Telefon. Ständig steht jemand anderes im Haus oder Garten und wurstelt an irgendwas. Erst kommt der Repräsentant des Landlords um Fotos von dem zu reparierenden Wasserhahn zu machen. Er hat sich englische Sätze zurecht gelegt, die ich nicht verstehe. Es gibt gerade viel zu tun in unserem Haus – ich verstehe ihn falsch und zeige ihm die Teiche im Garten. Verwirrung in seinem Gesicht. Ich führe ihn zum Sicherungskasten. Verzweiflung in seinem Gesicht. Beim dritten Anlauf haben wir es.

Als nächstes lungert jemand 15 Minuten im Vorgarten herum und legt dann Pakete vor der Tür ab. Eines davon ist dieses:

Neuer Wasserhahn, große Versprechen

Man erkennt es schlecht auf dem Bild, aber das nenne ich mal Produktversprechen

„The flower spreads the design tasty of the head top-grade, the shape is elegant, the amount of water regulates the convenience comfort. Designer in consideration of your convenience uses the queous and each details.“

Ich bin auch nicht sofort drauf gekommen – es ist ein neuer Wasserhahn. Habe mir aber vorgenommen, mich nicht ständig über Chinglish lustig zu machen. Kann ja schließlich auch kein chinesisch. In jedem Fall könnte es nun losgehen.

Phase 3: Magisches Verschwinden

Unser Haus gleicht einer Baustelle. Die Teiche werden gereinigt, Grassamen gesäht (pfh!), Leitungen und Lampen installiert, diverse Reparaturen. Zwischenzeitlich waren zehn Leute gleichzeitig irgendwo beschäftigt. Und wie immer, wenn sie da sind, passiert etwas Merkwürdiges: auf einmal sind sie alle weg. Verschwunden. Mehrere Tage lang blicken wir auf halb begonnene oder halb beendete Baustellen. Keine Sau kommt. Aber just, wenn man mit dem Gedanken spielt, mal deutlich nachzuhaken erfolgt:

Phase 4: Aktivität 1.0

Der Installateur war wieder da. Gemeinsam mit jemandem vom Compound. Sie haben den alten Wasserhahn in Windeseile entfernt und den neuen eingebaut. Und dabei kaputt gemacht. Auf einmal halten sie vier Teile in der Hand, die sich nicht mehr zusammenfügen lassen. Sie wollen später noch einmal wiederkommen. Oder irgendwann. Erstmal haben wir also keinen tropfenden Wasserhahn, sondern einfach gar kein Wasser in der Küche.

Und hier setzt die Erkenntnis ein: es war uns egal. Man nimmt es hin, regt sich nicht auf. Mehr noch: Verständnis fast. Sie geben sich schließlich Mühe und irgendwann werden sie es schon richten. Worüber also aufregen? Ändert eh nichts, außer daß man sich ärgert. Und ernsthaft: von einem Wasserhahn lasse ich mir nicht den Tag versauen. Als ich noch so drüber nachdachte, fiel mir auf, dass wir uns glaube ich wirklich angepasst haben. Angekommen sind.

Meine Top 5 Anzeichen, in China angekommen zu sein

  1. Langmut
    Reparaturen, die keine sind. Irgendetwas gibt immer den Geist auf. Man beginnt, kleine Unannehmlichkeiten als das zu sehen, was sie sind: klein. Ich versuche dann mal, mich im Winter daran zu erinnern, wenn es im Haus wieder 11 Grad sind.
  2. Ausblenden
    Ich höre Hupen nicht mehr. Kein Scherz, vor ein paar Tagen ist direkt neben mir die Alarmanlage eines Autos angesprungen und ich habe locker eine halbe Minute gebraucht, bis ich es wirklich registriert habe. Ich verbringe etwa zwei Stunden am Tag in Taxis auf der Straße. Wahrscheinlich hat mein Gehör aufgegeben.
  3. Körperliche Abhärtung
    Im ersten Monat hat mich China-Belly dazu gebracht, mich nie weiter als 50m von einer Toilette zu entfernen. Ein zweifelhaftes Sushi in Beijing hat mich zwei Tage fast hingerichtet. Eine massiver Infekt im Winter fast verenden lassen. Und jetzt? Nichts. Auch im Grunde merkwürdiges (zumindest nicht eindeutig identifizierbares) Essen ist einfach nur lecker und hat keine Nachwirkungen.
    Wirklich abstinent gelebt habe ich die letzten Jahre schon nicht, jetzt ist meine Leber wohl im China-Modus. Hier wird wirklich unfassbar viel getrunken, aber wirklich betrunken war ich schon lange nicht mehr.
  4. Benehmen
    Als wir ankamen, waren wir freundliche Ausländer. Wie hilflose amerikanische Touristen, die man in Deutschland manchmal sieht. Haben höflich gefragt, gewartet, genickt. Damit kommt man in China leider nicht sehr weit. Wie entsetzlich unhöflich es ist, quer durch den Raum nach dem Kellner zu brüllen, fällt einem immer erst auf, wenn man mal nicht in China ist. In Singapur zum Beispiel habe ich das erste Mal bemerkt, daß wir wohl verrohen. Wir versuchen, es nicht ausarten zu lassen und uns gewahr zu sein, daß es nach westlichem Standard nicht wirklich höflich ist, wie wir uns oft benehmen. Aber ignoriert werden wir nicht mehr.
  5. Keine Panik
    Egal, was einem hier passiert – es wird schon nicht tragisch enden. Beinah-Unfälle jeden Tag. Feuerwerk in Weltkriegformat. Laserpointer in Präsentationen, die sofort erblinden lassen können. Schnaps der nach Kerosin schmeckt (und auch so wirkt – Baijiu). Ampeln die noch nicht mal Empfehlung sind. Offene Starkstromkabel im Garten. All das und vieles mehr – man verfällt nicht mehr in Aufregung. Wird schon schiefgehen.

Shanghai ist großartig, China ist toll, wir lieben es hier. Trotz Baustellen und Lebensgefahr.

2 Gedanken zu „Anzeichen des Angekommenseins.

  1. I’m having ‚compound facility manager‘ envy 😉 Much as I love my ramshackle old building and the neighbours whose living room windows are all broken and they don’t seem to mind, it would be nice to have a man to fix stuff sometimes. Meanwhile I have my busybody neighbour, who watches my every move and accuses me of hiding meat under her car hahahaha…..

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